
Fast hätte die Politik in der Vergangenheit Wirecard die volle Kontrolle über Zahlungen zwischen Online Casinos und ihren Kunden übertragen. (Bildquelle: pixabay by V_M)
Nehmen einmal wir an, wir würden in einer alternativen Zeitlinie leben und den Skandal um Wirecard und die nicht existenten Milliarden hätte es bislang nicht gegeben. Wir befinden uns zudem bereits im Sommer 2022 und erst jetzt bricht das Kartenhaus aus Bilanzbetrug, erfundenen Milliarden und zwielichtigen Geschäften zusammen. Obwohl nur ein Jahr zuvor durch den Glücksspielneuregulierungsstaatsvertrag die Online Casinos in Deutschland auch nach nationalem Recht legal wurden, geht plötzlich nichts mehr. Keine Transaktionen zwischen den Betreibern und ihren Kunden sind mehr möglich, egal ob bei Online Casinos oder bei den Sportwetten. Der Grund für diesen Super-GAU ist Wirecard, die zuvor durch die Politik die alleinige Kontrolle über sämtliche Zahlungen von und zu deutschen Online Casinos übertragen bekamen.
Wirecard lobbyierte um die volle Kontrolle über die Zahlungen von und zu deutschen Online Casinos zu erlangen
Zum Glück leben wir nicht in dieser zuvor ausgemalten alternativen Zeitlinie und der Zusammenbruch aller Zahlungen zwischen deutschen Online Casinos und ihren Kunden wird es zumindest aufgrund von Wirecard nicht geben. Ein Szenario, welches im ersten Augenblick wie reinste Satire klingen mag, hätte jedoch tatsächlich eintreten können, wenn es dem einstigen Stern am Himmel der deutschen Finanzbranche gelungen wäre, die eigenen Pläne gegenüber der Politik durchzusetzen. Diese sahen vor, dass Wirecard als eine Art TÜV die volle Kontrolle über sämtliche Zahlungen zwischen Online Casinos sowie Buchmachern und ihren Kunden erhält. Der Finanzkonzern hätte hierbei hoheitliche Befugnisse erhalten und entschieden, welche anderen Finanzdienstleister als geeignet erschienen wären oder hätte gleich selbst alles über das eigene Unternehmen laufen lassen. Bei jeder Transaktion hätte Wirecard einen kleinen Obolus erhalten, was bei geschätzten rund 40 Milliarden Euro, die zwischen Kunden und Glücksspielunternehmen in Deutschland pro Jahr hin und her fließen, nicht gerade Peanuts gewesen wären.
Um die Politik für die eigenen Pläne zur vollen Kontrolle über die Zahlungen zu und von Online Casinos in Deutschland zu begeistern, hielt Wirecard den Bundesländern ab 2017 eine vergiftete Karotte vor die Nase. Hierbei hoffte der Finanzkonzern auf die unbändige Kontrollwut, die in Sachen Glücksspiel ein jahrzehntealtes Markenzeichen der deutschen Entscheidungsträger ist. Um möglicher Geldwäsche entgegenzutreten und die Geldflüsse der Bundesbürger sowie der Anbieter für Online Glücksspiel zu kontrollieren, sollte alles möglichst zentral organisiert werden. Wirecard wäre in so einem Modell als deutsches Finanzunternehmen natürlich in einer perfekten Ausgangsposition gewesen. Als Vorteile verkaufte der Konzern der Politik, dass bereits existierende Verfahren problemlos in eine Glücksspielaufsichtsbehörde implementiert werden könnten. Ebenso hätten etwaige geplante Programm zur Kontrolle in ihrer Bereitstellung schneller entwickelt oder gleich ganz darauf verzichtet werden können. Dass die Politik sich nicht in diese vergiftete Karotte verbiss und Wirecard nicht die Kontrolle über alle Zahlungen zwischen Online Casinos und Kunden gab, war jedoch weniger der Weitsicht Letzterer verdanken. Vielmehr dürften die ständigen Streitigkeiten und der über Jahre anhaltende Mangel an Kompromissfähigkeit die Pläne von wirecard zunichtegemacht haben.
Die neusten Enthüllungen rund um Wirecard und wie der Finanzkonzern bei der Politik lobbyierte, um die Kontrolle über die Zahlungen zu und von Online Casinos zu erhalten, stammen aus den Recherchen des Nachrichtenmagazins „Capital“.
Der gefallene Finanzdienstleister erhielt viel Unterstützung für seine Pläne
Bereits 2017 versuchte Wirecard für seinen Plan der vollständigen Kontrolle über die Zahlungen von und zu Online Casinos sowie Buchmachern Unterstützer bei den Bundesländern zu finden. Über den damaligen Staatskanzleichef Clemens Hoch von der SPD wurde dies beispielsweise in Rheinland-Pfalz versucht. Laut den Recherchen von „Capital“ fand hierzu das erste Treffen am 1. Februar 2017 in den Räumlichkeiten in der Staatskanzlei Mainz statt. Der als Berater für Wirecard fungierende Burkhard Ley, der zuvor bis 2017 fast 11 Jahr deren Finanzvorstand war, hatte um diese Zusammenkunft gebeten. Mittlerweile sitzt er wie einige weitere Ex-Manager in Untersuchungshaft. Über Clemens wollte Wirecard Einfluss auf die Verhandlungen zwischen den Bundesländern über eine Neuregulierung des deutschen Glücksspiels nehmen und hierdurch am Ende die Kontrolle über die Zahlungen mit deutschen Online Casinos erhalten. Ein zweites bestätigtes Treffen wiederum fand im Oktober 2018 auf einem Forum der SPD statt. Zu diesem waren sowohl Burkhard Ley wie auch Clemens Hoch von der SPD und einige Vertreter von großen Buchmachern und Online Casino Betreibern eingeladen. Wie die Staatskanzlei von Rheinland-Pfalz auf Anfrage von „Capital“ mitteilte, ging es bei beiden Treffen hauptsächlich um nur ein Thema. Dieses war, wie nicht anders zu vermuten, die Kontrolle über Zahlungen im Rahmen der Glücksspielneuregulierung für Online Casinos, genau wie es die Pläne von Wirecard vorsahen.
Neben amtierenden Unterstützern aus der Politik, erhielt Wirecard weitere Hilfe durch ehemalige bekannte Abgeordnete. Einer davon war Ole van Beust, der ehemalige Bürgermeister von Hamburg und seine Beratungsfirma. Ausgerechnet der Politiker, der in Sachen Glücksspiel die Meinung schneller änderte, als Lucky Luke schießen kann. Noch 2016 trat van Beust als entschiedener Gegner einer Legalisierung von Online Casinos in Deutschland auf und verwies hierbei auf das ewige Totschlagargument der Spielsucht. Nur ein Jahr später fand der NDR heraus, dass die Beratungsfirma des ehemaligen CDU-Politikers für das Pokerstars Casino arbeitete. Genau dieser windige Ex-Bürgermeister wollte nun auch noch mit Wirecard den Bock zum Gärtner machen und dem Konzern dabei helfen, die Kontrolle über sämtliche Zahlungen in Bezug auf Online Casinos in der Bundesrepublik zu erlangen. Doch nicht nur in der Politik fand das des Bilanzbetrugs überführte Finanzunternehmen Unterstützung. Leider machte sich auch der DVTM, der Deutsche Verband für Telekommunikation und Medien, für Wirecard in der Vergangenheit zu diesem Thema stark. Obwohl der Verband bisher viele wichtige Dinge in Bezug auf die Neuregulierung des Online Glücksspiels in Deutschland angestoßen hat, könnte diese Verbindung aus der Vergangenheit durchaus für einen Kratzer am bislang positiven Image sorgen.
Wie brisant die vollständige Kontrolle aller Zahlungen zwischen Online Casinos und Kunden durch Wirecard gewesen wäre, zeigt nicht nur der Skandal um den milliardenschweren Bilanzskandal. Das Finanzunternehmen wickelte in der Vergangenheit ebenfalls bis 2017 Transaktionen für Online Casinos der italienischen Mafia ab, ohne diese und deren Besitzer ernsthaft zu überprüfen. Möglicherweise war es denn Herren Managern auch einfach nur egal.
Hinterlasse einen Kommentar