Drogen- und Suchtbericht 2017Im ersten Teil unserer ausführlichen Betrachtung zu nun erschienenen Drogen- und Suchtbericht 2017 haben wir uns die Daten zur allgemeinen Entwicklung der Spielsucht in Deutschland angeschaut. Im Ergebnis hat sich dabei die Anzahl der Spielsüchtigen und problematischen Spieler gegenüber dem Jahr 2013 fast halbiert. Gerade vor diesem Hintergrund erscheinen die nun erfolgten Maßnahmen im Kampf gegen die Spielsucht wie das Schießen von Kanonen auf Spatzen. Durch die harten Abstandsregeln, die zum einem Kahlschlag bei den Spielotheken von fast 50 Prozent führen werden, soll mit der Verknappung an Spielautomaten der Spieler- und Jungendschutz verbessert werden. An sich ein ehrenwerter Gedanke, wenn dem wiederum nicht die individuelle Freiheit der eigenen Entscheidung entgegenstehen würde. Nachdem nun selbst der Drogen- und Suchtbericht festgestellt hat, dass die Anzahl der Spielsüchtigen stark rückläufig ist, wird nun fragwürdigen Zahlen ein anderes Feld aufgemacht. Denn in diesem Bericht steht die Zahl von 7 Milliarden Euro an Wohlfahrtsverlust, die angeblich durch das Glücksspiel in Deutschland entstehen würde. Selbstverständlich haben wir uns dies etwas näher angeschaut und haben dabei so einige fragwürdige Dinge an dieser verwendeten Zahl festgestellt.

Drogen- und Suchtbericht 2017 gibt Wohlfahrtsverluste durchs Glücksspiel von 0,4 bis 7 Milliarden Euro an

Bevor der nun veröffentlichte Drogen- und Suchtbericht 2017 sich abschließend mit den neuen Regeln und Gesetzen zum Thema Spieler-und Jugendschutz befasst, wird der Bereich „Volkswirtschaftliche Folgen“ angesprochen. Hier wird der Frage nachgegangen, welche sozialen Kosten der Glücksspielsucht den Einnahmen der Gesellschaft durch Steuern entgegenstehen. Dabei bezieht sich der Bericht einzig und allein auf die „Verhaltens- und gesundheitsökonomische Analyse des Glücksspiels“ von Dr. Ingo Fiedler aus dem Jahr 2016. Er ist seit 2011 Mitglied im Arbeitsbereich Glücksspiel der Universität Hamburg und hat beispielsweise in der Vergangenheit Gutachten für die deutschen Bundesländer erstellt. Möglicherweise ist es diese Nähe zur Politik die dafür verantwortlich ist, dass nur seine Zahlen zum Kosten-Nutzen-Verhältnis des Glücksspiels Einzug in den Drogen- und Suchtbericht 2017 fanden. In seiner Analyse, deren Daten von der Drogenbeauftragten im Bericht übernommen wurden, kommt Fiedler auf soziale Kosten aus dem Glücksspiel in Höhe von mehreren Milliarden Euro. Dem zugrunde liegt das Szenario B, welches mit 195.000 pathologischen und 245.000 problematischen Spielern der Situation in Deutschland recht Nahe kommt. Nun wird in seiner Analyse das Steueraufkommen aus dem Glücksspiel mit den sozialen Kosten gegengerechnet. Und je nachdem, ob hier immaterielle Kosten mit hinzugezählt werden oder nicht, ergeben sich Wohlfahrtsverluste zwischen -0,411 und -6,974 Milliarden Euro. Allein dieser Fakt könnte also aufzeigen, dass das Glücksspiel deutlich mehr Verluste für die Gesellschaft bringt, als es durch Steuereinnahmen Vorteile bringt. Eine andere Studie wiederum, die im Bericht keine Erwähnung fand, ist die von Tilman Becker aus dem Jahre 2011 (Seite 42 über immaterielle Kosten, Seite 44 Kosten direkt und indirekt), die auf rund 330 Millionen Euro an sozialen Kosten durch das Glücksspiel kommt. Mit den Steuereinnahmen von rund 5 Milliarden Euro gegengerechnet, kommt Becker wiederum auf einen positiven Wohlfahrtseffekt des Glücksspiels. Doch wie kommt es zu so einer ungeheuren Diskrepanz über die Höhe der sozialen Kosten zwischen der Studie von Becker und der Analyse von Fiedler, die der Drogen- und Suchtbericht 2017 anführt?

Selbst wenn hier die Daten von Tilman Becker auf das Jahr 2015 hochgerechnet würden, also gestiegene Kosten durch Inflation bei Abnahme der Zahlen an Spielsüchtigen, wäre dieser Wert immer noch deutlich positiv.

Wie kann Leid in Geld bemessen werden?

Um herauszufinden, warum sich die Analyse von Fiedler mit einem maximalen Wohlfahrtsverlust von knapp 7 Milliarden so gravierend von der Studie von Becker unterscheidet, zeigt ein tiefer Blick ins Datenmaterial. Denn Becker rechnet nur direkte und indirekte soziale Kosten ein, die tatsächlich in Geld beziffert werden können. Darunter fallen beispielsweise die direkten Kosten für Behandlungen, Beschaffungskriminalität, Gericht, Strafverfolgung, Arbeitslosigkeit, Scheidungen, Prävention oder Forschung. Bei den indirekten sozialen Kosten des Glücksspiels wiederum werden der Verlust des Arbeitsplatzes, krankheitsbedingte Fehlzeiten und die verringerte Arbeitsproduktivität miteinbezogen. Alles zusammen belaufen sich so die Kosten bei Becker in seiner Studie aus dem Jahr 2011 auf rund 330 Millionen Euro. Selbst bei einer Hochrechnung auf das Jahr 2015 würde Steuereinnahmen immer noch deutlich höher als die sozialen Kosten sein. Bei den maximal 7 Milliarden Euro Wohlfahrtsverlust bei Fiedler hingegen, auf die der Bericht der Drogenbeauftragten explizit hinweist, werden jedoch noch ganz andere Sache mit eingerechnet. So macht hier der Posten „Leid des Umfelds des Spielsüchtigen“ allein zwischen 2 und 6 Milliarden Euro aus und bildet somit den Löwenanteil der sozialen Kosten. Zusätzlich treiben Punkte, wie reduzierte Produktivität des Umfelds und sogar die reduzierte Produktivität der Kinder, in der Analyse die Summe noch weiter in die Höhe. Sie alle gehören zu den sogenannten immateriellen Kosten. Nur wie sollen für solche komplexen Dinge überhaupt verlässliche Werte berechnet werden? Denn schließlich spielen beim Umfeld und den Beziehungen der Menschen zueinander Millionen von Faktoren eine Rolle und beeinflussen sich gegenseitig erheblich. Außerdem, wie wird Leid definiert und anschließend in einen Geldwert übertragen? Genau auf diese Problematik weist Becker in seiner Studie hin und schreibt auf Seite 44: „Da es keine soliden Grundlagen hierfür gibt, wird daher in der Regel auf eine explizite Berechnung der intangiblen (immateriellen) Kosten verzichtet.“ Fiedler wiederum führt in seiner Analyse ebenfalls mehrere Punkte an, die eine Einarbeitung der immateriellen Kosten in die Wohlfahrtsbetrachtung eigentlich ausschließen müssten. So erklärt er beispielsweise, dass für immaterielle Kosten und Nutzen, Geldeinheiten keine perfekten Operationalisierungseinheiten darstellen. Oder mit anderen Worten, können immaterielle Werte nur äußert schlecht in Geld ausgedrückt werden. Außerdem führt er an, dass Komorbididäten und unklare Kausalitäten keine eindeutige Attributation von Kosten ermöglichen. Dies bedeutet nichts anderes, als dass zusätzliche Krankheitsbilder und unklare Ursache-Wirkungs-Beziehungen eine eindeutige Zuweisung von Kosten nicht ermöglichen. Als letzter Punkt erscheint dann noch der Vermerk, dass in diesem Bereich eine lückenlose Datenlage nicht existiert. All dieses Faktoren zusammengenommen führen den Umstand, diese Zahl von fast 7 Milliarden Euro überhaupt in den Drogen- und Suchtbericht 2017 mitaufzunehmen, am Ende ad absurdum.

Nun stellt sich nur noch die Frage, warum ausgerechnet im Drogen- und Suchtbericht 2017 Zahlen verwendet und instrumentalisiert werden, die keine belastbare Aussagekraft besitzen. Vielleicht mag dies an der Nähe von Fiedler zur deutschen Politik liegen oder die von ihm erhoben Zahlen passen einfach perfekt ins Bild, dass die deutsche Politik beim Kampf gegen die Spielsucht vermitteln möchte. Nicht unerwähnt sollte noch bleiben, das Fiedler in seiner Analyse zur Bekämpfung der Spielsucht als das beste Mittel ein Verbot aller Spielautomaten außerhalb von Spielbanken empfiehlt. Ein Schelm der böses dabei denkt.

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